ABETZ & DRESCHER

Die Werke von Maike Abetz und Oliver Drescher verkörpern Träume, Illusionen, Halluzination und Reflexionen der Gesellschaft am Beispiel von Aspekten der Massenkulturen, etwa aus Musik, Kunst und Science-Fiction-Filmen.

Das Künstlerpaar schafft eine Symbiose, die den Zeitraum der 1960er bis zu den 1990er-Jahren umfasst und Ikonen der internationalen Musik wie Mick Jagger, Jimi Hendrix, Bob Dylan, Eric Clapton und The Who einschließt. Diese sind in malerischen Darstellungen verewigt und werden dabei von ihren Instrumenten und nicht selten von den Künstlern selbst begleitet, die häufig als Protagonistin und Protagonist der eigenen Narrative in Szene gesetzt sind.

Das Ergebnis entspricht der Wiedergabe eines dynamischen, vielfältigen, lebendigen Szenariums, eingetaucht in eine psychedelische Welt der Massenkultur wie in eine Reise in die Vergangenheit, die Themen der Gegenwart und Zukunft einbeziehen. Diese entspricht der Ideologie und Lebensweise von Abetz & Drescher, die die Musik als Zentralfigur ihrer Werke wie auch als einen Leitfaden und als Spiegelung der Gesellschaft betrachten.

LEBENSWERK DES LEBENSKÜNSTLERS

Maike Abetz und Oliver Drescher leben ihre Kunst, die eine treue Wiedergabe ihrer Existenz ist. Es gibt zahlreiche Künstlerpaare, die ihren Platz in der Kunstgeschichte erobert haben, wie zum Beispiel Gilbert and George, Christo und Jeanne-Claude, Eva und Adele, Bernd und Hilla Becher, Elmgreen & Dragset und Fischli/Weiss, und die ihre Projekte nur als Paar – als Ergebnis einer Symbiose – konzipieren und realisieren. Und sich auch – ähnlich wie Abetz & Drescher – mit der Malerei beschäftigen, wie Römer & Römer. Zahlreiche Ausstellungen haben das Thema des Künstlerpaars oder Künstlerduos in den Fokus gesetzt, um zu unterscheiden, ob sie jeweils ihre eigene künstlerische Laufbahn verfolgen oder, wie bei Abetz & Drescher, ein gemeinsames künstlerisches Werk schaffen. Dieses Künstlerdasein weckt mehrere Fragen: „ … kreativer Austausch oder Einfluss? Rivalität? Selbstbestimmung des weiblichen Partners? Künstlerische und persönliche Harmonie?“

Abetz & Drescher betonen, dass es bei ihrer Begegnung ein natürliches Interesse an gemeinsamen Themen und an einer Lebensart gab, wie auch der Drang, etwas Neues für sich als eine Bereicherung für beide zu erfinden. Maike Abetz hatte von Beginn an ein großes Interesse für die Malerei und fokussierte sich intensiv auf Bildmerkmale und ihre eigenen Vorbilder. Euphorisch erzählt sie, dass der 2010 verstorbene Maler Sigmar Polke und besonders sein ikonisches Werk Höhere Wesen befahlen: rechte obere Ecke schwarz malen!, das vor genau fünfzig Jahren entstand, ihre künstlerische Praxis beeinflusst hat. Die Banalität des Titels, des Motivs (schwarzes Dreieck auf weißem Grund) und sogar der banale Reim (befahlen – malen) könnten Hinweise auf spirituelle Einflüsse sein, reine Ironie des Künstlers oder eine effektive Art und Weise zur Verteidigung einer Künstlerautonomie beim Schaffensprozess, indem er eine Ablenkung oder Ausrede findet, um dem Fokus von seiner künstlerischen Entscheidung abzulenken. Nicht nur Polkes Haltung hat Abetz’ Aufmerksamkeit erregt, sondern auch die Art und Weise, wie er seine Leinwände und Bilder im Allgemeinen komponiert hat: „Insbesondere Sigmar Polkes Bilder seien zahlreiche Spuren einer sich im Wandel befindlichen Gesellschaft: Triviale Szenen, Banalitäten des alltäglichen Lebens, kleinbürgerliche Ambitionen, nationale und internationale Politik – diese Themen zerlegte er unter der Lupe seiner schonungslosen Analyse. Geliefert hat er dabei eine einmalige Version der Realität, die von Ironie, Humor und Kritik durchsetzt ist. Seine Alchemie kombiniert sich aus Intuition, Planung und Zufall und auch das Materielle trug seinen Teil dazu bei. Experimentelle Neugierde war schon immer einer seiner Wesenszüge. Sie war es auch, die ihn dazu trieb, sämtliche verfügbare Techniken und Genres zu bespielen: Malerei, Zeichnung, Gouache, Fotografie, Objektkunst, Filme und Editionen.“

Währenddessen sind die Interessen von Oliver Drescher hauptsächlich in der Philosophie verankert: „Unter den Philosophen sind es vor allem die französischen wie Michel Foucault, Roland Barthes, Paul Virilio, Gilles Deleuze. Aber auch sehr wichtig ist der deutsche Medientheoretiker Friedrich Kittler. Bei ihm habe ich auch studiert. Bildhauer wären die aus den 1960er Jahren zu nennen: Claes Oldenburg, James Rosenquist, Jasper Johns, Tom Wesselmann, George Segal. Aber auch sehr wichtig: Martin Kippenberger und Mike Kelley.“ Sein Schwerpunkt ist immer, über den Inhalt nachzudenken, nachzufragen und zu strukturieren. Er interessierte sich zu Anfang seiner Studienzeit für Bildhauerei, die für ihn die Gedanken in konkrete Gestalten verwandeln kann.

Doch die Symbiose zwischen Maike Abetz und Oliver Drescher kristallisiert sich schließlich in der Malerei heraus. Die Verwendung von Acrylfarbe auf großen Leinwänden entspricht der Verschmelzung beider Künstler – ihr Interesse, ihre Malweise, ästhetische und inhaltliche Auseinandersetzungen werden unter der Signatur Abetz & Drescher zusammengefasst, ohne Spuren der Einzelidentitäten für die Betrachtenden zu hinterlassen. Ihre Werke entsprechen dem Spirit der Berliner Kunstszene Mitte der 1990er-Jahre und finden große Resonanz als Bestandteil der neuen deutschen Malerei: „Die prallbunte Malerei von Maike Abetz und Oliver Drescher scheint auf den ersten Blick in farbdrastischem Sixties-Revival zu baden, versammelt in psychedelischen Bildräumen überwiegend Vertreter der schon etwas angejahrten Popkultur, hier gleichwohl im besten ‚Viva‘-Alter porträtiert. Doch die Verflechtungen reichen weiter, antike Götter und barocke Putten sind ebenso vertreten wie altgriechische Bogenarchitektur, die plötzlich in Op-Art-Ornamentik mündet. Die Bilder sind Zeitmaschinen, sie erzeugen hyperhistorische und zugleich synthetische Räume, die insbesondere das Medium Musik ins Visuelle übersetzen und kulturelle Codes zu dicht gestaffelten Allegorien binden.

Selbstporträts

Abetz & Drescher — Atmosphères, 2000, 100 x 80 cm, acrylic on canvas

Das Genre des Selbstporträts ist ein großer Bestandteil ihres Œuvres, einzeln oder eingebunden in ihr Universum, das von der Musik geprägt ist. Im Stil der 1960er und 1970er Jahre werden die Protagonistinnen und Protagonisten mit den typischen Ornamenten der Zeit dargestellt. Sie sind fester Bestandteil ihrer Selbstdarstellung, Inszenierung und Wahrnehmung.

Abetz & Drescher — Up Against It, 1997, 140 × 110 cm, Acryl auf Leinwand

Ein Mitstreiter der Selbstinszenierung war Martin Kippenberger, der die eigene Rolle immer wieder kritisch oder ironisch dargestellt und hinterfragt hat. Seine erste Einzelausstellung im Jahr 1981 in der nGbK (neue Gesellschaft für bildende Kunst, Berlin) hieß Lieber Maler, male mir … Es war ein ironischer Hinweis auf die Rolle des Künstlers/Malers und seine Selbstdarstellung in der Malerei: „Der Titel Kippenbergers ist als radikales Statement über die Stellung des Künstlers von heute zu sehen.

Man sollte die Aufforderung wörtlich verstehen: Lieber Maler, male mir‘ bzw. ,Lieber Maler, male mir etwas‘. Kippenberger delegiert nicht nur auf sarkastische Weise die künstlerische Verantwortung, sondern betont auch unmissverständlich, dass die „liebe Figur des Malers seine kulturelle Allgemeingültigkeit verloren hat.“ Diese kritische Aussage entstand u. a. deswegen, weil die Serie von zwölf Bildern, die Martin Kippenberger in der Ausstellung präsentiert hat, das Ergebnis eines dafür beauftragten Kinoplakatmalers war. Seine Aufgabe war es, den Künstler in den Plakatmotiven in seiner Künstlerrolle nachzuahmen.

Künstlerin und Künstler selbst

Zusätzlich zum Selbstporträt ist die figurative Malerei von Abetz & Drescher immer von zwei zentralen Figuren bewohnt: die Künstlerin und der Künstler selbst, die eventuell gegenseitig füreinander posieren wie etwa bei den Arbeiten Atmosphères (2000) oder Up Against It (1997); weibliche Musen als Diva und Pin-Up-Gestalt oder Musikerinnen und Musiker, die die Inspiration für das künstlerische Schaffen durch ihre Lieder liefern. Die Hommage wird im Titel der Bilder betont: Maria Callas, Jimi Hendrix, Mick Jagger, The Who, The Doors, Elvis Presley – zahlreiche Mythen werden mit diesen Personen und Titeln zelebriert.

Sympathy for the Devil 2019, 250 x 200, Acrylic on Canvas

Die Farbpalette verhält sich authentisch zu den legendären Vintage-Bilder in einer Kombination von orange, rot, pink, blau, silber. Die Hauptfiguren – besonders bei der „Musikerserie“ – werden vor einen lebendigen Hintergrund platziert, dessen gesamte Fläche Teil des Narrativs ist. Einzelne Szenen vermischen sich und der Effekt des Bild-im-Bild hypnotisiert die Betrachtenden. Die Aufmerksamkeit wird auf die magische, zeichnerische Darstellung der Mythen gelenkt. Die Augen flanieren unruhig in einer dichten, konstruierten Landschaft mit Tieren, Menschen, Pflanzen, Spielen, Genüssen und allen Sorten von Exzessen des Lebens bis hin zur Darstellung von Totenköpfen. Diese intensiven, surrealistischen Kompositionen erinnern an Wiedergaben halluzinogener Experimente, zum Beispiel in den Werken Mick Jagger, The Doors, Eric Clapton, die 2011 entstanden sind.

Weibliche Darstellungen

Abetz & Drescher – Rebirth 250 x 200 x 5 cm acrylic on canvas 2018

In aktuellen Werken, die ab 2017 entstanden sind, werden weibliche Darstellungen gefeiert, indem sie als Einzelpersonen zentriert im Bild präsentiert werden. Ihre Haltungen sind souverän, sublim. Ihre Mimiken und Gestiken laden die Betrachtenden zum direkten Dialog ein. Sie befinden sich sitzend in Innenräumen, die wie Raumkapseln wirken. Diese sind mit optischen Mustern ausgestaltet, die die Illusion einer tiefen Perspektive schaffen. Räume wie diejenigen der Bilder Rebirth, Answer My Prayer und Flashback ermöglichen durch verschiedene Öffnungen eine Betrachtung der Außenwelt. Wie in einem Raumschiff umkreist die Muse das Universum, als wäre sie für Menschen unantastbar.


Einzelelemente

Nun werden bei den jüngsten Werken die Einzelelemente gelöst und extrahiert. Plattenspieler oder Gitarren schweben vor silbernen, monochromatischen Hintergründen wie in Supernature, Soul Explosion oder Stardust (alle 2019). Abetz & Drescher bleiben ihren Ikonen und ihren Spuren treu. Sie schaffen ein authentisches Lebenswerk am Beispiel der Lebenskünstlerinnen und ‐künstler, die sie in ihrer Malerei vergöttern und verewigen.

Abetz & Drescher — On the Road, 2019, 200 × 250 cm, Acryl auf Leinwand

Abetz & Drescher — On the Road, 2019, 200 × 250 cm, Acryl auf Leinwand

MYTHOS DER POPKULTUR

San Francisco war schon in den 1950er Jahren Bühne der Beat-Generation. Die Protagonisten waren Dichter und Schriftsteller, die zusammen mit bildenden Künstlern wie Bruce Conner20 eine neue Ästhetik und Programmatik mit einem kritischen Blick auf gesellschaftliche Strömungen verteidigten. Vor fünfzig Jahren fand das legendäre Woodstock Festival statt. 32 Bands und Solokünstler traten vor geschätzten 400.000 Besuchern auf. Das Festival war zwar eine kommerziell unkoordinierte Veranstaltung, gleichwohl verkörperte es in einer kontroversen politischen, sozialen und ökonomischen Zeit die Sehnsucht nach Love & Peace.

In den 1960er Jahren stand die Gegenkultur auf der internationalen Tagesordnung. Die künstlerischen Bewegungen, angeführt von bildenden Künstlern, Schriftstellerinnen, Filmemachern, Modedesignerinnen und Musikern, verteidigten das Recht auf Gleichheit in der Gesellschaft, unabhängig vom sozioökonomischen Hintergrund.

Es wurde zu einem historischen Wahrzeichen der Massenbewegungen für Proteste, die bis in die Gegenwart Teil der zeitgenössischen, soziopolitischen Agenda sind: „Die 1960er Jahre werden zumeist im Zusammenhang mit der Revolution diskutiert. Während des gesamten Jahrzehnts und auf der ganzen Welt wurde eine Generation junger Menschen aktiv und bewirkte eine Reihe sozialer und politischer Transformationen. Die daraus entstandene staatliche Politik beförderte fünfzig Jahre später im Westen einen Lebensstil, der für niemanden außer den überzeugtesten Visionären der 1960er Jahre vorstellbar gewesen wäre. Auch ein ästhetisches Erbe dieser Zeit dauert an und zeigt sich am stärksten in der Modewelt, in der der sogenannte ,Bohemian-Chic‘ nach wie vor besteht und Erinnerungen an einen turbulenten, aber hoffnungsvollen Abschnitt amerikanischer Geschichte heraufbeschwört. Intellektuelle, Philosophen und Dichter dieser Zeit haben immer mehr Beweise dafür geliefert, dass ein Wandel auf allen gesellschaftlichen Ebenen nicht nur möglich, sondern grundsätzlich erstrebenswert ist.“

Die Bewegung der 1960er Jahre prägte und inspirierte Abetz & Drescher und ist bis heute entscheidend für ihre künstlerische Entwicklung und ihr Schaffen. Die Realisierung ihrer Ausstellung Place Called Love in der Kunsthalle Rostock offenbart, dass bestimmte Themen, Auseinandersetzungen und Kontexte noch im Jubiläumsjahr vom „Summer of Love“ präsent sind. Parallel dazu ist es ein glücklicher Zufall, dass auch die Kunsthalle Rostock im Jahr 2019 ihr fünfzigstes Jubiläum zelebriert. Der einzige Museumsneubau der DDR wurde 1969 eröffnet. Durch diese Ausstellung bringen wir so zwei unterschiedliche Kontexte in einen Dialog, die simultan existieren – auf der einen Seite die Spuren der Popkultur, die in den 1960er Jahren im Westen entstanden ist, und auf der anderen Seite eine kulturelle Plattform aus dem ehemaligen „Ost-Block“, die bis heute ihre Rolle als Vermittler von soziokulturellen Kontexten wahrnimmt.

Text von: Tereza de Arruda, Kuratorin

Place called Love 2019, 270 × 300 cm, Acryl auf Leinwand

Abetz & Drescher — A Place Called Love, 2019, 230 × 270 cm, Acryl auf Leinwand